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Johanna Kückes - zweiter Rundbrief aus Palästina (vom Do, 15.03.2012)

 

ﻢﳊ ﺖ ﺑ – Beit Lahim – Bethlehem


Bethlehem. Der Ort, wo Jesus vor über 2000 Jahren geboren wurde. Tausende Menschen pilgern jedes Jahr in die festlich geschmückte Stadt, die heute geprägt ist von Checkpoints und einer 8 Meter hohen Mauer, die sich mitten durch die Stadt windet. Selbst der Patriarch muss diesen „Sicherheitszaun“ (Israel) passieren, um nach Bethlehem zu gelangen und dort einen Festgottesdienst in der Geburtskirche zu halten.
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Auf dem Krippenplatz, an dessen Rand sich die Geburtskirche befindet, wimmelt es von Touristen; Araber in Weihnachtsmann-kostümen verkaufen Glühwein, Postkarten, Weihnachtsmützen und heiße Maronen. Mitten drin steht ein riesiger Weihnachtsbaum, der am 15. Dezember in einem großen Spektakel
„angezündet“ (Stecker in eine Steckdose gesteckt) wurde. Es gab Musik (unterbrochen vom Ruf des Muezzins), eine Rede eines palästinensischen Politikers und schließlich fing der Baum nach einem Countdown an zu blinken,
alle riefen „Ooh“ und „Aah“, es gab wieder Musik und ein großes Feuerwerk.

Am 19. Dezember zogen die Pfadfinder durch Beit Jala, wo der Nikolaus einst gelebt haben soll. Vormittags am 24. Dezember spielten sie dann in Bethlehem. Es war sehr interessant, meine sonst so lebhaften und emotionalen Schüler einmal diszipliniert in Reih und Glied marschieren zu sehen. Stolz trugen sie Fahnen, trommelten oder spielten Dudelsack.



دﻼﻣ ﺪﻴﻋ – Eid Milad - Weihnachten

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An Heiligabend besuchte ich um 17:00 Uhr den Gottesdienst in der relativ kleinen und an diesem Abend überfüllten Weihnachtskirche in Bethlehem. Irgendwie schaffte ich es dennoch, einen Sitzplatz zu ergattern. Ein schottischer Bischoff hielt eine sehr gute Predigt über Obdachlose, Flüchtlinge und den Vergleich zu Josef und Maria. Der Gottesdienst war in Deutsch, Englisch und Arabisch. Manche Lieder wurden in allen Sprachen gleichzeitig gesungen, auch das Vaterunser betete jeder in seiner Sprache. Das war dann nicht nur Deutsch, Englisch und Arabisch, links neben mir saßen z.B. Japaner, rechts ein Finne.Am Ende gab es ein paar Minuten der Stille, in der es in der Kirche mit Ausnahme von ein paar Kerzen dunkel war. Die Atmosphäre war ruhig und besinnlich, sodass ich dort zum ersten Mal wirklich in Weihnachtsstimmung kam.
Nach dem Gottesdienst gab es einen Empfang, bei dem ich ein paar deutsche Volontärsfreunde traf. Um 19 Uhr lauschte ich einem Gesangsquartett vom Bethlehem College, die Weihnachtslieder („Stille Nacht“ etc.) in Arabisch sangen. Um 20:00 Uhr gab es ein Konzert von „Brass for Peace“, bei dem Wiebke (eine meiner Mitbewohnerinnen) mitspielte. Anschließend machten sich Annalene, Hendrik (zwei Mitvolontäre) und ich in strömendem Regen auf den Weg zurück nach Talitha Kumi, wo wir um 21:30 Uhr von einem Taxi abgeholt wurden, das uns nach Jerusalem brachte (abends fahren keine Busse mehr).

Dort bereiteten wir in der Erlöserkirche Glühwein für den Empfang nach dem Gottesdienst vor.
Um 0:30 Uhr machten wir uns schließlich mit einer Gruppe deutscher Volontäre auf den Weg zurück nach Bethlehem. Allerdings nicht mit einem Taxi, sondern zu Fuß. Es regnete immer noch und der Wind blies uns ins Gesicht, aber so war es vielleicht auch vor 2000 Jahren, als Josef und Maria diesen Weg auf sich nahmen. Mit dem Unterschied, dass es bei uns nicht über Stock und Stein ging, sondern entlang einer Hauptstraße, die wegen des Chanukkafestes (jüdisches Lichterfest) hell erleuchtet war. Als wir den Checkpoint nach Bethlehem passierten, hielten wir in dessen Mitte kurz inne, um „Macht hoch die Tür“ zu singen, bevor wir das letzte Stück des Weges in Angriff nahmen. In der Geburtskirche angekommen, hielten wir eine kleine Andacht und sahen uns die Kirche an.
Schließlich machten sich Annalene, Anita (Deutsche, die auch in diesem Jahr in Talitha Kumi arbeitet) und ich auf den Weg zu einer Wohnung in Bethlehem, die uns von einer deutschen Lehrerin zur Verfügung gestellt wurde, die Weihnachten und Silvester in Deutschland verbringt. Dort ange- kommen, erlebten wir gleich die Realität in Bethlehem – Stromausfall. Durchnässt bis auf die Knochen suchten wir in der dunklen Wohnung nach unseren Sachen (die hatten wir am Vormittag schon in die Wohnung gebracht), zogen uns im Licht einer Kerze um und kochten uns auf dem Gasherd heißen Tee. Es war 4:30 Uhr und wir waren erschöpft von dem langen Fußmarsch nach Bethlehem, sodass wir bald müde ins Bett fielen. Mitten in der Nacht ging plötzlich das Licht an – der Strom war wieder da. Diese Nacht dort war für mich eine ganz besondere. Denn wir hatten kein Internet, kein fließend Wasser und keinen Strom. Die kleine, aber wunderschöne Wohnung stammt aus Kreuzfahrerzeiten, ist damit eine der ältesten in Bethlehem und erinnert mit ihrem Flair etwas an eine Höhle.

Am 25. Dezember machten wir uns ein kleines Frühstück, tranken Tee und aßen selbstgebackene Vanillekipferl und Schokobrot. Bald kamen Wiebke, Hendrik und zwei Volontärinnen, die in Kiryat Gat arbeiten und nach der Wanderung von Jerusalem nach Bethlehem in Talitha übernachtet hatten. Wir saßen gemütlich beisammen und unterhielten uns, später führten Hendrik, Wiebke und ich die beiden Mädchen durch Bethlehem. Auf dem Weg zurück in die Bethlehemer Wohnung holten wir eine weitere befreundete Volontärin ab, die in Bethlehem arbeitet. Zusammen bereiteten wir ein sehr leckeres Weihnachtsessen zu, bestehend aus Salat, Lachsspaghetti, Nudeln mit Käsesahnesoße und Schrimps und zum Nachtisch Schokoladen- und Vanilleeis mit heißen Zimtkirschen. Als wir ein Päckchen auspackten, das ein Lehrer uns Talitha-Volontären geschenkt hatte, fanden sich im Inhalt noch ein großer Haufen Süßigkeiten und eine Tüte mit gesalzenen Nüssen. Irgendwann fingen wir an, aufzuräumen und alle fuhren „nach Hause“, nur Wiebke und ich blieben. Nachdem wir noch etwas Geschirr gespült und gemütlich einen Film angeschaut hatten, fielen wir erschöpft ins Bett.
Am nächsten Tag, dem 26. Dezember, standen wir relativ früh auf und machten uns auf den Weg nach Jerusalem, um dort mit etwa 15 anderen deutschen Volontären im Gästehaus der Erlöserkirche zu brunchen. Jeder brachte etwas mit und wir bauten gemeinsam das Buffet auf und hinterher wieder ab. Am frühen Nachmittag wanderte ich dann mit Anita, Hendrik und den Volontärinnen aus Kiryat Gat zur Himmelfahrtskirche auf dem Ölberg, wo um 17 Uhr ein „Christmas Carols Singing“ (Weihnachtsliedersingen) stattfand. Diese Andacht war wunderschön, zwischen den Liedern wurden kurze Bibelstellen vorgelesen und jeder hielt eine Kerze in seiner Hand. Auch hier wurden die Lieder nicht nur auf Deutsch gesungen, sondern auch auf Englisch, Französisch und Arabisch. Nicht unbedingt immer gleichzeitig, sondern eine Strophe in einer Sprache und die nächste in einer anderen. Am Ende halfen wir noch etwas beim Aufräumen und genossen im Anschluss Glühwein und Waffeln im Café der Auguste Viktoria Kirche. Von dort aus wurden Anita, Hendrik und ich von anderen Volontären ein Stück in Richtung Bethlehem mitgenommen und liefen das restliche Stück zum Checkpoint zu Fuß, diesmal glücklicherweise ohne Regen und Wind. Vom Checkpoint aus gönnten wir uns ein Taxi hoch nach Talitha.
Das waren meine Weihnachten. Teilweise sehr voll und anstrengend, aber insgesamt doch wunderschön und zum Glück nicht ganz so kitschig wie befürchtet.

ﱊﻮﻗ ﺎﺜﻴﻟﺎﻃ – Talitha Kumi

Doch wie sieht eigentlich mein Alltag in Talitha Kumi aus? Im Allgemeinen kann man sagen, dass ich vormittags in der Schule arbeite und nachmittags im Mädcheninternat.
In der Schule bin ich in verschiedenen Klassen, in denen ich den jeweiligen Deutschlehrer beim Unterricht unterstütze. In den jüngeren Klassen (3. und 5.) helfe ich direkt im Unterricht, indem ich einzelnen Schülern etwas noch einmal erkläre, beim Korrigieren helfe oder Schüler um Ruhe bitte. In der 6.Klasse bin ich zwar auch hauptsächlich im Unterricht, doch manchmal nehme ich spontan Kleingruppen von bis zu 6 Schülern aus dem Unterricht, um mit ihnen den Unterrichtsstoff noch einmal zu wiederholen oder schon etwas weiter zu gehen.
Zudem habe ich einen blinden Schüler (Ahmad) aus der 7.Klasse, dem ich Einzelunterricht in Deutsch gebe. Seine ebenfalls blinde Schwester (Lara), die in der 9.Klasse ist, habe ich am Anfang des Schuljahrs auch unterstützt, doch seit ich aus ihrer Klasse in jeder Deutschstunde eine Kleingruppe unterrichte, kümmert sich Hendrik um sie. Die A2-Prüfung (Niveauprüfung in der deutschen Sprache) im November habe ich dennoch mit ihr durchgeführt.
Sowohl Ahmad als auch Lara sind sehr klug und begreifen schnell, doch gerade Ahmad muss man immer wieder zum Lernen motivieren. Sehr gerne hört er sich CDs an oder spielt Scrabble (ich lese ihm seine Buchstaben vor und er versucht, daraus Wörter zu bilden), doch so etwas kann man natürlich nicht die ganze Zeit machen, sodass diese Sachen gut als Belohnung herhalten können.
Meine Kleingruppe aus der 9.Klasse besteht aus zwei Schülerinnen und drei Schülern, die manchmal echt Flausen im Kopf haben. Ich versuche dennoch, ein wenig Unterricht zu machen. Die Mädchen sind meistens interessiert, doch die Jungs haben (bis auf einen) recht wenig Lust auf Deutsch. Die Tatsache, dass Deutsch in Palästina nicht versetzungsrelevant ist (d.h. selbst wenn ein Schüler schriftlich und mündlich 0% steht, bekommt er eine 4 = 50% auf dem Zeugnis), trägt auch nicht gerade zur Motivation bei. Aber hin und wieder gibt es dennoch gute Stunden, die manchen Ärger wieder gut machen. Besonders, wenn meine Schüler gut in Prüfungen abschneiden (z.B. Lara in A2), merke ich, dass meine Arbeit irgendwie einen Sinn hat.
Im neuen Jahr werde ich zusätzlich zu diesen Klassen je zwei Stunden pro Woche Kleingruppen aus einer anderen 9. Klasse und aus einer 8. Klasse auf Deutschprüfungen vorbereiten, die im Mai stattfinden.

Neben dem Unterricht arbeite ich einmal pro Woche in der Verwaltung, wo ich Zettel sortiere, loche und abhefte.
In der ersten großen Pause veranstalten Hendrik, Annalene und ich mit den Schülern aus je einer Klasse der Stufen 3-5 Pausenspiele. Besonders beliebt sind „Wer hat Angst vor’m schwarzen Mann“, Fangen und Spiele mit dem Schwungtuch.
Um 14:30 Uhr ist Schulschluss, in dessen Anschluss ich dienstags bei den Proben eines kleinen Schulorchesters und donnerstags bei der Kletter-AG (auf dem Schulhof steht eine Kletterwand) helfe. Von 15-18 Uhr ist in dem Mädcheninternat „Studying Time“ (Zeit zum Lernen), in der ich den Mädchen bei ihren Deutsch- und Englischhausaufgaben helfe.
Hauptsächlich arbeite ich mit Yara, einem Mädchen aus der 8 DIAP (Schulzweig, der zum Deutschen
Internationalen Auslandsabitur führt), die 50% der Schulfächer auf Deutsch, 25% auf Englisch und 25% auf Arabisch hat. Die arabischen Fächer sind Fächer wie Kunst, Musik und Sport; die richten Lernfächer finden alle in Deutsch oder Englisch statt, was für sie natürlich nicht leicht ist. So kann ich ihr aber in fast allen Fächern helfen, weshalb ich meistens ca. 2 Stunden nur mit ihr arbeite.
Wir Volontäre haben zusätzlich Förderunterricht eingeführt, den wir allen Schülern der Schule anbieten, die Lust und Bedarf haben. Er findet zweimal pro Woche statt und ist natürlich auch offen für die Internatsmädchen. Zum Förderunterricht kommen hauptsächlich DIAP-Schüler, insbesondere aus Klasse 7, 10 und 11. Während die Nachhilfe im Internat meist Einzelunterricht ist, teilen wir die Schüler beim Förderunterricht nach Klassenstufe oder Fach (je nachdem, welche Schüler kommen) in Kleingruppen ein. Die Resonanz war bisher sehr positiv und auch hier freue ich mich sehr, wenn Schüler, die regelmäßig kommen, gute Tests und Klausuren schreiben. Denn das zeigt, dass es etwas bringt und die Schüler verstanden haben, was man ihnen erklärt hat. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich, denn die Kultur des Auswendiglernens ist hier immer noch sehr weit verbreitet. Oft lernen die Schüler vor einer Klausur einfach die Wörter auswendig, die in einem Lückentext eingesetzt werden müssen, da exakt dieser Lückentext in der Klausur abgefragt wird. Lehrer, die anderen Unterricht machen, haben es hier daher oft sehr schwer.
Zusätzlich zu dieser Arbeit führen wir Volontäre manchmal Freizeitaktivitäten mit den Internats- mädchen durch (Spiele, Rallyes, Grillen etc.) oder helfen bei zeitweisen Arbeiten wie z.B. bei den Patenschaftsprogrammen.
Hier in Talitha Kumi gibt es ein deutsches und ein englisches Patenschaftsprogramm. Zu Weihnachten bekommen die Paten von ihren Patenkindern Post in Form von je einem Foto, einer Karte und einem Schulleiterbrief. Ab Mitte November fingen Annalene, Hendrik und ich an, die Kinder und Jugendlichen für das deutsche Patenschaftsprogramm zu fotografieren (ca. 600 Kinder) und zusammen mit den Internatsmädchen Karten zu schreiben und zu bemalen, die an die Sponsoren des Internats gingen. Als alle Fotos entwickelt und die Patenkinder ihre Karten gemalt und beschrieben abgegeben hatten, waren wir zusammen mit der zuständigen Lehrerin einen Tag lang beschäftigt, alles in Briefumschläge einzutüten und die Adressen der Paten auf die Umschläge zu kleben. Für das englische Patenschaftsprogramm fiel weniger Arbeit an, da es dort nur ca. 200 Patenkinder gibt und von uns Volontären nur überprüft werden musste, welche Karten schon da waren und welche fehlten. Daher habe ich diese Arbeit alleine gemacht.

Jetzt sind alle Briefe in Deutschland und seit dem 22. Dezember sind Schulferien, sodass ich Weihnachten entspannt genießen konnte. Am 27. Dezember ging es dann aber gleich weiter mit der Arbeit. Die meisten Internatsmädchen sind zwar über Weihnachten und Silvester nach Hause gefahren, aber manche wollen noch lernen und sind deshalb hier geblieben. Ich kümmere mich im Moment besonders um Amira, ein Mädchen aus der 11 DIAP, die über die Ferien viel zu tun hat, da sie im Sommer 2013 das Deutsche Auslandsabitur ablegen möchte. Ihr Ziel ist, dieses nicht nur zu bestehen, sondern so gut zu sein, dass sie im Anschluss ein Stipendium in Deutschland bekommt.
So viel so weit zu mir und meiner Arbeit. Ich wünsche euch jedenfalls Frohe Weihnachten und ein gesegnetes Neues Jahr 2012! Bleibt behütet auf euren Wegen!


Johanna

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