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Johanna Kückes - Erster Bericht aus Palästina (vom Sa, 26.11.2011)

Rundbrief Nr. 1

impressionen aus palästina 1Palästina. Ein Land mit vielen Namen und Gesichtern. Zwischen Weihrauch- und Gewürzstraße gelegen ist es ebenso geprägt von orientalischen Einflüssen wie von den vielen heiligen Orten aus der Bibel, der Thora und dem Koran. Es ist ein Land, das einmal ein Land war und wieder eines werden möchte. Dieses winzige Fleckchen Erde (ganz Israel inkl. der Westbank und des Gazastreifens ist kleiner als Hessen) steht gerade während des „arabischen Frühlings“ immer wieder im Fokus der Weltöffentlichkeit. Das Bild, das die Medien der Welt von Palästina vermitteln, ist geprägt von Hass, Gewalt und Krieg. Denn wen interessieren schon friedliche Demonstrationen, das alltägliche Leben miteinander und die vielen Versuche, Brücken zu schlagen und die Gewaltspirale zu durchbrechen?

Aus diesem Grund möchte ich euch mitnehmen auf eine Reise durch das Land der Bibel. Ich möchte euch zeigen, wie viel mehr dieses Land zu bieten hat und wie das wirkliche Leben hier aussieht.

johana kückes - palästinaNeulich sind Annalene (Volontärin), Hendrik (Volontär), Daniel (Verwaltungspraktikant) und ich zum Herodion gefahren, einem Palast, den König Herodes vor etwa 2000 Jahren bauen ließ. Wir besichtigten die Überreste dieser Residenz und beschlossen, den Rückweg (ca. 10 km) zu Fuß zurückzulegen. Ruine vor dem HerodiumGleich am Fuß des Hügels, auf dem sich das Herodion befindet, trafen wir auf die Ruine eines alten Herrenhauses mit sehr schönen Mosaiken auf dem Fußboden. Leider gab es dort keine Informationen, um was für ein Gebäude es sich handelte. Als wir gerade weitergehen wollten, kam eine Schafherde auf uns zu und fing an, zwischen den Ruinen zu grasen.
Scheich vor uns auf der StraßeWir setzten unseren Weg in Richtung Bethlehem fort und waren immer wieder sehr dankbar darüber, dass der Ramadan vorbei war und wir in der Öffentlichkeit trinken konnten. Unser Weg führte uns durch viele kleine und abgelegene arabische Dörfer, deren Bewohner hauptsächlich von der Schaf- und Ziegenzucht leben. Selten verirren sich Touristen in diese Gegend. Wir wurden angestarrt wie
Außerirdische und von allen Seiten kamen winkend Kinder angerannt, die uns anlachten, willkommen hießen und fragten, woher wir kämen. Ab und zu kamen Sammeltaxen vorbei, deren Fahrer nicht verstanden, warum wir denn bitte nach Bethlehem laufen wollten. Das sei schließlich viel zu weit. Als wir ihnen erzählten, dass wir Palästina gerne einmal aus einer nicht-touristischen Sicht kennenlernen wollten, freuten sie sich und fuhren weiter. Unterwegs kauften wir uns in einem kleinen Laden ein Eis und unterhielten uns mit ein paar älteren Männern, die davor saßen und die späte Nachmittagssonne genossen. Sie freuten sich sichtlich über unsere Bemühungen, uns in Arabisch zu verständigen. Denn Englisch spricht dort in den Dörfern natürlich niemand. Abgesehen von dem Wort „Hello“, das sämtliche Kinder (egal welchen Alters) zu kennen schienen.

Henrik genießt die Aussicht auf JerichoAuch die Straße an sich war sehr schön. Sie ging zwar sehr viel hoch und runter und teilweise war sie ziemlich steil, aber wir wurden immer wieder mit tollen Ausblicken belohnt. Beim Sonnenuntergang erreichten wir schließlich Bethlehem, er- klommen den letzten Berg und liefen auf der anderen Seite wieder runter. Von dort aus fuhren wir dann mit dem Bus durch Beit Jala einen weiteren Berg nach Talitha Kumi hoch.

Dieser Ausflug war zwar anstrengend, hat sich aber sehr gelohnt.

Sehr schön war auch unser Tagesausflug zum Toten Meer und nach Jericho.

im Toten MeerWir sind sehr früh aufgestanden, da wir den Bus um 7 Uhr nehmen mussten. In Bethlehem stiegen wir in ein Sammeltaxi um, das wir uns für den ganzen Tag gemietet hatten. Nach etwa einer Stunde Fahrt kamen wir am Toten Meer an. Außer uns waren so früh nur wenige Menschen dort und auch die Temperaturen waren erträglich. Denn da das Tote Meer über 400 Meter unter dem Meeresspiegel liegt, ist es dort 8-10°C wärmer als in dem höher gelegenen Bethlehem. Nachdem wir zum ersten Mal im Wasser gewesen waren und uns anschließend mit dem (angeblich) heilsamen Schlamm eingeschmiert hatten, war es direkt in der Sonne schon kaum mehr auszuhalten. So beschränkten wir uns darauf, uns unter einem Zeltdach auf Liegestühlen auszuruhen, die Aussicht über das Meer nach Jordanien zu genießen und zwischendurch immer wieder kurz ins Wasser zu springen.
Nach ein paar Stunden kam unser Taxifahrer vom Tanken wieder und brachte uns Saft und Kekse mit, worüber wir uns sehr freuten.
Als sich die Luft auf etwas angenehmere Temperaturen abgekühlt hatte, machten wir uns auf den Weg nach Jericho, der mit 250m unter dem Meeresspiegel tiefgelegensten Stadt der Welt. Während wir unterwegs waren, erzählte uns unser Taxifahrer viel über Land und Leute und gab uns zwischendurch Arabischunterricht. In Jericho angekommen, setzten wir uns erst einmal in ein Restaurant und stärkten uns mit Falafel. Anschließend führte uns der Taxifahrer vom Stadtzentrum zu einer Seilbahn, die zum Kloster Qaratan (Kloster der Versuchung Jesu) hinaufführte. Auf dem Weg dorthin kamen wir an Limettenbäumen, Dattelpalmen (ein Dattelverkäufer schenkte jedem von uns ein paar Datteln, die sehr lecker schmeckten) und einem Obsthändler vorbei, der Musik anmachte und dazu tanzte, sobald er uns sah. blick über JerichoDank der guten Beziehungen unseres Taxifahrers mussten wir für die Seilbahnfahrt nur 35ILS (Israelische Schekel) statt 55ILS (normaler „Europäerpreis“), also knapp 7€, bezahlen. Oben angekommen stellten wir dann fest, dass das Kloster leider schon geschlossen hatte. So genossen wir die wunderbare Aussicht über Jericho bis zum Jordan und fuhren bei Sonnenuntergang wieder mit der Seilbahn den Berg runter. Unten angekommen war es bereits dunkel und wir liefen wieder zum Taxi zurück. Auf dem Rückweg kamen wir wieder an dem tanzenden Obstverkäufer vorbei, der doch etwas enttäuscht schien, dass wir trotz seiner Tanzeinlagen nichts bei ihm kauften. Um kurz vor 22 Uhr kamen wir dann müde und erschöpft, aber glücklich und dankbar über den schönen Tag, wieder in Talitha an.

Doch nun etwas mehr zu meiner Arbeit in dem Bildungszentrum „Talitha Kumi“. Sie findet hauptsächlich in der Schule und im Mädcheninternat statt. Vormittags helfe ich im Deutschunterricht mit, allerdings bisher nur in Tawjihi-Klassen.
Das Tawjihi ist der palästinensische Schulabschluss (hier wird nicht in Haupt-, Realschulabschluss und Abitur unterteilt) und wird am Ende der 12. Klasse abgelegt. In diesem Zweig müssen die Schüler zwar bis einschließlich der 11. Klasse Deutsch als Fremdsprache lernen, werden ansonsten allerdings in allen Fächern (außer Englisch) auf Arabisch unterrichtet.
Der andere Zweig, der in Talitha Kumi angeboten wird, ist der, der zum DIAP (Deutsche Internationale Abiturprüfung) führt. Die Schüler, die diesen Zweig wählen, werden in 50% der Fächer in Deutsch, in 25% in Englisch und in 25% in Arabisch unterrichtet. Am Ende der 12. Klasse legen die Schüler und Schülerinnen das DIAP ab, das an deutschen Universitäten genauso anerkannt wird wie das deutsche Abitur. Da die DIAP-Klassen sehr klein sind und die Schüler schon sehr gut Deutsch können, werden wir Volontäre dort momentan nicht gebraucht.
Nachmittags geht es dann in die Boarding Section (Mädcheninternat), um den Mädchen in Deutsch und Englisch, bzw. den DIAP-Mädchen auch in allen anderen Fächern, die auf Deutsch oder Englisch sind, Nachhilfe zu geben.
johannaZusätzlich unterstütze ich einmal in der Woche eine Lehrerin bei ihrer Kletter-AG (auf dem Schulhof befindet sich eine Kletterwand) und manchmal bieten wir Volontäre in der ersten großen Pause jeweils einer Klasse Pausenspiele an.

In meiner Freizeit spiele ich Volleyball und Fagott (wahrscheinlich kriege ich bald eine Schülerin), lerne Arabisch, treffe mich mit Freunden oder erkunde das Land, das für die kommenden Monate mein Zuhause ist.

 

Seid herzlich gegrüßt,

 

Johanna

[ jk, 26.11.2011 ]
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